Wie ich alles hingeschmissen habe, um meinen Traum zu leben

Freitagabend, 18 Uhr. Lustlos fahre ich meinen Computer runter, räume die Tasse mit dem kaltgewordenen Kaffee von meinem Schreibtisch in die Spülmaschine und schalte den automatischen Anrufbeantworter ein. Ich bin die Letzte im Büro. Ich verschließe die Geldkassette mit den Tageseinnahmen im Tresor, schalte das Licht aus und ziehe die Tür hinter mir zu.
„Endlich Wochenende“ schreibe ich meiner besten Freundin. Endlich abschalten und aus dem Alltag fliehen. Die letzten 107 Stunden hatte ich dem Wochenende entgegen gefiebert. Endlich raus aus dem Büro. Endlich leben.
Doch worauf freue ich mich eigentlich so sehr? Auf die immer gleichen Partys und dass am Montag der gleiche Trott von vorne beginnt?
Soll das alles gewesen sein?
Diese und ähnliche Gedanken kreisen schon seit Wochen in meinem Kopf herum. Auf dem Heimweg frage ich mich immer wieder, ob das schon alles gewesen sein soll. Sorgen, die mich innerlich auffressen. Ich begieße sie mit Wodka und schicke sie in die Wüste. Zumindest für den heutigen Abend.
Mit meinen Freunden feiere ich das ganze Wochenende durch. Viele Menschen, flackernde Lichter, wummernde Bässe – Electro Partys von Freitag bis Sonntag. Ich vergesse meine Sorgen und den Ernst des Lebens. Ich genieße die Musik, die mir so viel gibt. Ich bin glücklich. Halbwegs. Zumindest für den Moment.
Wir tanzen ausgelassen, trinken viel, schlafen wenig und denken nicht an Morgen, nicht an die Zukunft, nicht an unsere Ängste und Träume und vor allem nicht an die Arbeit.
Als ich am Sonntagabend völlig zerstört in meinem Bett liege, packen mich die Zweifel erneut. Gedanken, die ich schon seit Ewigkeiten wegschiebe, lassen sich nun nicht mehr verdrängen. Was zum Teufel mache ich hier eigentlich? Bin ich überhaupt glücklich? Soll das wirklich schon alles gewesen sein? Soll ich diesen Job wirklich bis zum Ende meines Lebens machen? Für immer in dieser Stadt leben? Wie soll es weitergehen? Was wird von mir erwartet?
Raus aus diesem Leben
Ich wälze mich im Bett hin und her und zerbreche mir den Kopf. Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Mir ist kotzübel. Ich kann nicht richtig atmen und einschlafen kann ich erst recht nicht.
Dabei habe ich doch eigentlich gar keinen Grund unzufrieden zu sein. Ich bin gesund, meinen Herzmenschen geht es gut, ich habe eine eigene Wohnung. Eine mit begehbarem Kleiderschrank und Regendusche, aus der ich am liebsten nie wieder ausziehen möchte. Ich habe tolle Freunde, mit denen ich jedes Wochenende die Clubs in ganz Deutschland unsicher mache. Ich habe einen festen Freund, den ich liebe, die Familie in meiner Nähe und einen sicheren Job bei einem Zeitungsverlag, der mir einigermaßen Spaß macht. Doch irgendetwas fehlt.
Ich muss raus. Raus aus dieser Stadt, raus aus diesem Job und raus aus diesem Leben. Ich will mehr! Ich will die Welt sehen und am Ende meines Lebens nicht sagen: „Ach, hätte ich doch bloß…“ oder „Wäre ich nur damals…“
Ich möchte später nichts bereuen, vor allem keine verpassten Chancen. Chancen, die ich nicht wahrgenommen habe, weil ich zu bequem, zu faul, zu ängstlich oder zu vernünftig war.
Gefangen im goldenen Käfig
Plötzlich klingelt der Wecker und reißt mich aus meinen Träumen. Montagmorgen. Ich fühle mich gerädert, ausgebrannt, unmotiviert. Der Alltagstrott beginnt von Neuem. Ich dusche, frühstücke und laufe wie ferngesteuert zu Fuß ins Büro.
In der Mittagspause lungere ich auf dem Marktplatz unserer langweiligen Kleinstadt rum. Nichts passiert hier. Dann und wann prügelt sich eine Gruppe Kinder, ein Hund kackt vor die Sparkasse, sein Herrchen guckt peinlich berührt weg und geht weiter, ohne die Hundescheiße mit einer Plastiktüte zu entsorgen.
Der altbackene Friseursalon stellt ein neues Transparent mit den Angeboten der Woche auf. Es sind die gleichen wie in der vergangenen Woche. Ich habe keine Lust mehr auf diesen Alltagstrott. Die Routine nervt mich. Selbst die Schokobrötchen aus meiner Lieblingsbäckererei öden mich an. Ich fühle mich gefangen in einem goldenen Käfig.
Die folgenden Tagen laufen alle gleich ab: Aufstehen, arbeiten, essen, schlafen, aufstehen, arbeiten, essen, schlafen. Ich zähle die Stunden bis zum Wochenende, um dann wieder zwei Nächte lang durchzufeiern.
Raus aus dem Hamsterrad
Ich habe kein Bock mehr auf dieses Hamsterrad. Viel lieber möchte ich die Welt bereisen, Abenteuer erleben, in andere Kulturen eintauchen, mich lebendig fühlen, Neues lernen, leben. Eine Veränderung muss her und zwar schnell. Geduld ist nicht meine Stärke.
Gesagt getan. Ich bewerbe mich für ein internationales Bachelor Studium in den Niederlanden. Der Unterricht in den Unis unseres Nachbarlandes hat den Ruf, persönlicher und praxisbezogener zu sein als in Deutschland. Er wird in Englisch abgehalten und die Themen werden in kleinen Gruppen erarbeitet. Das spricht mich mehr an, als meine Zeit in überfüllten Hörsälen abzusitzen, in denen man sowieso meistens nur körperlich anwesend ist – wenn überhaupt.
Der Hauptgrund für meine Entscheidung, in den Niederlanden zu studieren, war jedoch die Aussicht auf ein Auslandssemester in den beiden Partneruniversitäten in Indonesien und Thailand. Ob dieses Argument wohl im Motivationsschreiben überzeugen würde?
Ich kündige
Wenige Wochen später erhalte ich eine Zusage. Überglücklich halte ich das Ticket für ein neues Leben in den Händen und kann es kaum erwarten. Ich bin aufgeregt. Ein wenig Angst habe ich auch.
Am nächsten Morgen bitte ich meinen Chef um ein Gespräch unter vier Augen. Als ich in seinem Büro sitze, läuft mir ein eiskalter Schauer über den Rücken. Dann wird mir plötzlich ganz heiß. Wo fange ich an? Was sage ich überhaupt? Plötzlich platzt es einfach aus mir heraus: „Ich kündige.“ Aus und vorbei. War doch gar nicht so schwer.
Dank großem Verständis für meine Entscheidung und einigen Tagen Resturlaub geht dann alles ganz schnell. Mein Weihnachtsgeld muss ich anteilig zurückzahlen. Danach bin ich frei. Ich kündige meine Wohnung trotz begehbarem Kleiderschrank und Regendusche, verkaufe mein Auto, um davon die Studiengebühren zu bezahlen und ziehe in die Niederlande.
Hallo Welt!
Zwar bin ich „nur“ 400 Kilometer von meinem Heimatort entfernt, aber dennoch ist es ein Schritt nach vorne. Von nun an wohne ich in Leeuwarden, einer schnuckeligen Stadt mit kleinen Grachten in der Provinz Friesland. Hier beginne ich mein Studium zur Media & Entertainment Managerin.
Ich lerne wunderbare Menschen kennen. Einige, mit denen ich einfach eine gute Studienzeit verbringe, andere, die zu echten Freunden werden und bis heute ein wichtiger Teil meines Lebens sind. Ich sammele Erfahrungen, gute sowie schlechte, lerne für die Uni, aber vor allem fürs Leben.
Vieles verändert sich. Meine Beziehung geht in die Brüche, Freundschaften ebenso. Meine alten Freunde machen dort weiter, wo ich aufgehört habe. Wir leben uns auseinander, nicht bewusst, aber dennoch irgendwie gewollt. Jeder geht seinen eigenen Weg. So läuft das im Leben nun mal. Ich für meinen Teil wähle den Weg, der mich hinaus in die große, weite Welt führt.
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